Der immerwährende
Kampf um Lebensqualität
"Diese Kastanie haben die Kinder gerettet. Ca. 8 Kinder
sind im Baum gesessen und der Bagger konnte ihn nicht fällen", erinnert
sich Frau Edith Baumann an eine spektakuläre Aktion in der Höttinger Gasse 14,
auf dem kleinen Platz neben dem ehemaligen "Gasthaus zur Traube", an
der auch ihre eigenen Kinder teilgenommen hatten. Frau Baumann ist heute 75 Jahre
alt und seit 1991 aktiv, um sich mit vielen Mitstreiter*innen für mehr
Lebensqualität in der Höttinger Gasse, der Schneeburggasse und der Riedgasse
einzusetzen.
Die Höttinger Gasse ist nicht nur seit alter Zeit eine
wichtige Durchfahrtsstraße sondern auch der Lebensraum der Bewohner, die mit
jedem weiteren Hausbau mehr wurden. Aber nicht nur in der Höttinger Gasse,
sondern auch in den nördlich davon liegenden Stadtteilen Hötting und Hungerburg wurde fleißig gebaut. Deshalb
mussten im Jahr 1990 auch die Wasserleitungen sowie die Strom- und Postkabel saniert
und erweitert werden. Einige
Monate später kam noch ein neuer
Straßenbelag dazu und der Verkehr konnte wieder ungehindert nordwärts fließen.
Wenig verwunderlich, dass sich wenig später, Ende September 1991,
schließlich eine Bürgerinitiative gründete, die sich gegen die ständig steigenden
Belastungen wehrte: "Hilfe wir ersticken in Abgasen, Lärm und
Staub" - "Ein Herz für Hötting" - "Weg mit dem
Durchgangsverkehr" - so lauteten die Slogans, mit denen die Aktivist*innen der
Bürgerinitiative vor das alte Rathaus in Innsbruck zogen, um dem damaligen Bürgermeister Romuald
Niescher 800 Unterschriften für eine Sperre der Schneeburggasse für
den Durchgangsverkehr Richtung Peerhofsiedlung zu übergeben.
Laut Stadtblatt
vom 2. Oktober 1991 lehnte der Bürgermeiste eine Vorsprache der Initiative ab.
Aber er versprach, das Anliegen der Höttinger an seine Experten weiterzugeben. Wenn
es keine realisierbare Lösung gäbe "bleibt wohl nur mehr die Möglichkeit
einer Aussiedlung", meinte der Journalist am Ende Beitrags.
Daraufhin
machte der Verkehrsreferent GR. Ing. Martin Krulis eine
"Verkehrsstromanalyse" in der Schneeburggasse und stellte anhand von
176 Fahrzeugen in westlicher Richtung und 104 Fahrzeugen in östlicher Richtung
an einem Regentag von 7:20 Uhr bis 8 Uhr fest, dass der Verkehr
"hausgemacht" sei. Der
Pendlerverkehr fließe hauptsächlich durch die Höttinger Au Richtung Kranebitter
Allee. Auffallenderweise säßen hier in Hötting - frühmorgens! - vor allem "zahlreiche
Höttinger allein im Fahrzeug, andere wiederum
brachten ihre Kinder mit dem PKW in die Volksschulen nach Mariahilf und Hötting".
Weitere Zählungen wurden angekündigt.
Damals gab es am Beginn der Höttinger Gasse noch keinen
Zebrastreifen und auch die 30-er-Zone fehlte. Aber es gab auch noch viel
weniger Verkehr, als 17 Jahre später, im Jahr 2008. Damals informierte die
Stadt-ÖVP in einer Diskussionsveranstaltung im "Ölberg" (Höhenstraße)
darüber, dass für den Stadtteil Hugerburg zwischen 1000 und 2000 neue
Wohneinheiten geplant seien. Da wurden die Anrainer wieder aktiv. Denn inzwischen war nämlich die Verkehrsfrequenz in der
Höttinger Gasse "in der Zeit zwischen sieben und 16 Uhr" auf
"über 7000 Fahrzeuge" angestiegen, und in den seltensten Fällen
würden sich die Menschen an "den vorgeschriebenen 30er halten". Und
ein Anrainer von der Schlerngasse forderte endlich eine alternative
Hungerburgzufahrt. (Tiroler Tageszeitung vom 25. April 2008) Die
Bürgerinitiative wandte sich daraufhin an die grüne Gemeinderatsfraktion und am 30. Mai 2008 berichtete die Kronen-Zeitung von
einer Protestaktion:
"Straßenprotest zur Stoßzeit ärgerte viele - Picknick
der Grünen mitten auf Kreuzung in Innsbruck: Staus - enge Höttingergasse als
großes Problem". Erst nach diesen Zeilen kam der Hinweis auf eine
Bürgerinitiative, die von den Grünen unterstützt würde.
"Eine Handvoll
Demonstranten legte Mittwoch den Feierabendverkehr in Innsbruck teilweise lahm.
Sie wollten damit auf die Verkehrsprobleme in Hötting aufmerksam machen"
war dann unter einem Bild zu lesen. Darauf waren deutlich mehr als eine
Handvoll Menschen zu sehen, die vor dem
Nadelöhr - Eingang und Einfahrt zur
Höttinger Gasse - auf dem Fahrstreifen
standen und saßen. Es gab auch Tische, mit Kaffee und Kuchen und jede
Menge Plakate. Mit dieser Aktion wolle man auf die unhaltsame Verkehrssituation
aufmerksam machen, meinte die damalige grüne Gemeinderätin Sonja Pitscheider. WK-Präsident
Jürgen Bodenseer ärgerte sich, dass diese Blockade "bewilligt" worden
sei, was aber gar nicht nötig war, weil es zur Wahrung des Versammlungsrechts völlig
genügte, Aktion nicht zu untersagen.
Die Initiative machte später auch eine Autofahrer-Befragung
und mobilisierte weiter gegen den Durchgangsverkehr in Richtung Westen. Am 8.
Juni 2008 berichtete die Kronen-Zeitung
von den Gefahren, die sich durch den
steigenden Verkehr auch mit Bussen immer mehr verschärften: "Die
Gasse ist
lebensgefährlich". "Hötting - Verkehrskollaps!", "Lärm
macht krank" - "TAXI -rücksichtslos Rasen statt Fahren" stand
auf den Plakaten und Edith Baumann war wieder dabei und berichtete,
dass befragte Autofahrer oft meinten, dass sie lieber hier fahren
würden, weil es
auf dieser Strecke keine Ampeln gäbe. Sie und
Klaus Stahl, Eva Schwarz und Irmgard Steidl forderten bei einem
Lokalaugenschein mit dem Journalisten Philipp Neuner ein Tempolimit in der
Höttinger Gasse und eine Gehsteigverbreiterung. Die Polizei hatte daraufhin anscheinend rasch
reagiert, wie es am 22. Juni 2008 dann in der Kronenzeitung zulesen war: Es
wurde ein Tempomessgerät mit Zähleinrichtung aufgestellt, was zu einer leichten
Verbesserung führte, wie Frau Baumann berichtete. Aber: "Wenn das ein
richtiger Radarkasten wäre, die Polizei würde damit Unsummen an Strafgeldern
erzielen können.
Dieser Radarkasten würde freilich nur die Autofahrer
abschrecken, nicht aber die Radfahrer, die die Höttinger Gasse immer wieder
gegen die Einfahrt hinunterrasen und die ja keine Nummerntafeln haben. Ein
weiterer Bericht vom 16. September 2008 machte auf dieses Übel aufmerksam.
"Höttinger Gasse: Rennstrecke für Radler." "Speziell zu
Semesterbeginn an der Uni müssen sich die Fußgänger vor Radlern in Acht nehmen,
die gegen die Einbahn talwärts brausen und bei Gegenverkehr auf den Gehsteig
ausweichen." Aber auch die
Autofahrer würden oft gerne die Beschleunigungsfähigkeit ihrer Kraftwagen
testen - ohne Rücksicht auf "Lärm, Schadstoffausstoß und
30km/h-Beschränkung." Eine Radarkontrolle ergab, dass ein Fünftel der
Autos zu schnell fahren würden der Großteil davon Taxis. Ein weiterer
Artikel zum Thema am 29. Oktober 2008 berichtete dann über eine
Bürgerversammlung, bei der die Betroffenen der damaligen ilde Zach Hilde Für-Innsbruck
Bürgermeisterin Hilde Zach ihr Leid klagten. Sie lehnte
Baumaßnahmen ab: "Ampeln, Zebrastreifen oder gar Verkehrsinseln kommen
nicht in Frage. Das Geld wird immer knapper." Stattdessen forderte sie aber hart Strafen für die
Übeltäter, die teils den Anrainern schon bekannt waren.
Am 30. April 2009 organisierten die Aktivist*innen von 17 Uhr bis
18:30 eine neuerliche Sperre der Gasse, um auf die Situation hinzuweisen und ihr
Anliegen breiter bekannt zu machen. Daraufhin gab es im Bezirksblatt vom 6. Mai
2009 eine gute Nachricht: Der Gehsteig zwischen den Hausnummer 14 und 28
sollte nach Leitungsverlegungen
verbreitert werden, sowie auch das Schrammbord auf der anderen Straßenseite bei
den Häusern 39 und 41. Diese Maßnahmen
waren um vier Jahre vorverlegt worden.
Am 3. Mai 2011
berichteten Verkehrsstadtrat Ernst Pechlaner und Stadträtin Dr. Marie-Luise
Pokorny-Reitter in "Innsbruck informiert", dass nun in der Höttinger
Gasse für vier Wochen ein
Geschwindigkeitsmessgerät errichtet worden sei sowie ein Transparent
über der Einfahrt in die Höttinger Gasse, das zum Langsamfahren auffordere. Im Juni
würde von der Stadt ein fixes Gerät installiert werden.
Nun ist das Jahr 2023
gekommen, und Frau Edith Baumann
und ihre Mitstreiter*innen möchten wieder einmal aktiv werden und
eine weitere Aktion starten. Grund ist
natürlich der weiterhin gestiegene Verkehr. Nachwievor
wünscht sie sich eine
Radarüberwachung und eine stärkere Bestrafung der Rowdies.
Aber auch der
erneute Fleckerlteppich von Straßenbelag sorgt für
Lärmbelastung und der vertiefte Straßenrand sorgt bei
starkem Regen und Matsch dafür, dass Fußgänger und
Hausfassaden von meterhohen Wasserfontänen bespritzt werden.
Inzwischen ist
auch der Schwer-Verkehr durch zwei Baustellen in der Höttinger Gasse und viele
weitere Baustellen weiter nördlich angestiegen. Erst ist es der Schwerverkehr, dann
kommt der Zubringerverkehr zu den neuen Wohnhäusern. Schnell gefahren wird
trotz rot warnendem Messgerät nach wie vor, und auch die Radfahrer sausen
weiter talwärts. Hinzugekommen sind
inzwischen auch noch die E-Scooter-Fahrer, die auch gerne ihre Vehikel mitten auf
den schmalen Gehsteigen stehen lassen. Bleibt also noch viel zu tun, für die
75-Jährige... die übrigens direkt auch von Baufehlern bei einem neuen
Nachbarhaus betroffen ist... Die Abgas-Lüftung aus der Tiefgarage ziehen aufgrund
eines bis zur Grundstücksgrenze reichenden Vordaches direkt auf das
Nachbargrundstück, auf dem sie und ihre Mitbewohner*innen wohnen, und zu ihren Schlafzimmerfenstern.
Die Plakatkartons waren bald gekauft, an den Slogans wurde gebastelt und man denkt wieder ans
Unterschriftensammeln - und noch bevor an einer weiteren Sperre geplant wird, entstehen erste leise Protestformen, wie Mini-Gärtlein in Mauerecken,
die etwas Bunt in das Grau der Gasse bringen sollen. Frau Baumann
griff wieder einmal zum erprobten Pinsel und gestaltete erste Plakate, die an meinen zwei Erkern und an der Dachrinne von Hausnummer 18 angebracht werden.
Mit Blumen und Plakaten machen wir auf unseren Lebensraum Höttinger Gasse aufmerksam. Hier wohnen auch Schulkinder, sie ist Schulweg. Der Baum im Hof der Hausnummer 14 muss wieder einmal vor dem Fällen gerettet werden, wofür die vor allem die Gebäudereinigerin Anna und Edith, meine Nachbarin einsetzen. Dabei unterstütze ich sie natürlich gerne...
Die schon in die Jahre gekommene 30-er Tafel am Beginn der Gasse wurde frei geschnitten.
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