Projekt: Leben und Arbeiten in der Höttinger Gasse

Die Höttinger Gasse auf einer alten Karte

Die Höttinger Gasse 


Eine alte Nord-Süd-Verbindung

"... da erblicken wir ein ganzes Gewirr von alten Häuschen, die so ineinandergeschachtelt sind, daß man im ersten Augenblick nicht gleich herausbekommt, wo das eine anfängt und das andere aufhört... Die geschwungenen Giebel, die schiefen Holzschuppen, das zerbröckelnde Mauerwerk, besonders am gänzlich verfallenen Häuschen des Kunstdrechslers links in der Mitte der Straße, die vielen kleinen Fenster, die schmalen Hauseingänge, die lauschigen Ecken und Winkelchen, alles das gibt ein recht trauliches Durcheinander, das unserem Auge wohltut." So schildert der Tiroler Mittelschullehrer und Autor Hugo Klein "den steilen Aufstieg in die Höttinger Gasse" im Jahr 1962 in seinem Buch: "Alt-Innsbrucker Gaststätten".

Seit 1962 hat sich hier einiges geändert. Ineinandergeschachtelte Häuser und zerbröckelndes Mauerwerk findet man nach wie vor, aber von den lauschigen Ecken und Winkelchen ist nicht mehr viel zu sehen. Das verfallene Kunstdrechlerhäuschen, die schiefen Holzschuppen und die nicht erwähnten weil schon damals verschwundenen Brunnen gibt es nicht mehr, dafür sind einige neue Häuser seitdem entstanden. Verschwunden sind die  vielen kleinen Läden mit ihren Auslagen, die Klein ebenfalls nicht erwähnte, und vor allem die vielen Gast- und Wirtshäuser nach der Hausnummer 15.

Dafür hat sich der Durchzugsverkehr vervielfacht, denn die Höttinger Gasse ist nun die Zubringerstraße zu den ständig wachsenden Wohnvierteln Hötting, Sadrach und Hungerburg. Der Verkehr zwängt sich heute nur mehr in eine Richtung von der Innbrücke durch den auch heute noch sehr engen Beginn der Höttinger Gasse steil nordwärts,  einschließlich der Verkehrsbusse, Baufahrzeuge und LKW. Städtebaulich wäre es heute nicht mehr möglich, eine so enge Straße für so viel Verkehr freizugeben, aber die Situation ist historisch gewachsen. Auf der Karte oben sieht man, dass die zwei sehr langgestreckten Eckhäuser gegenüber der Innbrücke schon eine Engstelle bildeten, als die Straße wirklich noch in das weit oben liegende Dorf Hötting führte. Das ist auch der Grund für den Namen der Gasse. Freilich existierite das Bauerndorf Hötting vermutlich schon lange vor dem Markt Anpruggen, der ältesten Marktsiedlung, die hier die Grafen von Andechs wohl zwischen 1133 und  1150 noch vor der Gründung der Stadt Innsbruck (um 1180) errichtet hatten, wie archäologische Gräberfunde zeigten. Der frei fließende Inn sorgte jahrhunderte lang immer wieder für Überschwemmungen, sodass das Leben auf der Inntalterrasse bei Hötting wesentlich sicherer war, als im Talboden. Inzwischen ist der Inn längst durch ein mit Mauern befestigtes Innbett gebändigt und Innsbruck und Hötting wären längst baulich zusammengewachsen, bevor Hötting 1938 nach Innsbruck eingegliedert wurde -  unmittelbar nach der  Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich. Auf der "Tirolischen Tafel" von Burgklechner aus dem Jahr 1611 (unten)  ist die Höttinger Gasse noch nicht eingezeichnet, wohl aber schon die namengebende Brücke mit dem Innsbrucker Stadtwappen. 

 Serh alte Ansicht von Hötting

Diese erste  links des Inn liegende Marktsiedlung der Andechser bot kaum räumliche Erweiterungsmöglichkeiten, weshalb nach der Errichtung der ersten Innbrücke und einem Grundstückserwerb auf der rechten Innseite ca. 1180  die Stadt Innsbruck gegründet wurde. Der Markt wurde dann vom 12. bis 14. Jh. "trans pontem" oder "enund der brukken" genannt. Seit dem 15. Jh. hieß er dann Anbruggen und war durch die Brücke und die Höttinger Gasse in das obere und untere Anbruggen geteilt, und gehörte zum Innsbrucker "Burgfrieden".

"Er umfaßt an der linken Seite des Inn die ällteste Marktsiedlung auf einem schmalen Uferstreifen von der Mündung des Höttinger Baches abwärts bis zu jender des Weiherburgbaches beim Guggenbichl..." so beginnt die Beschreibung der Stadtgrenze und Hötting von Otto Stolz in seinem Buch "Geschichte der Stadt Innsbruck" im Jahr 1959. Dabei verläuft die Grenze südlich vom Gasthof Traube (Höttinger Gasse 14) bis nördlich vom Bierhaus Meinl (Nr. 27)  in der Straßenmitte.

Die extrem langgestreckten Häuser der Mariahilfstraße und Innstraße entstanden wie ihre Nachbarhäuser, weil die Eigentümer im Lauf der Jahrhunderte die Vorderhäuser mit den dahinter erbauten "Stöckelgebäuden" vereinigten. Grund dafür war der steigende Platzbedarf der Hausbesitzer. Auf der Ansicht unten kann man noch die zweite Häuserzeile hinter der Mariahilfstraße erkennen, sowie die Gärten hinter den Begrenzungs-Mauern zur Höttinger Gasse.

Alte Anischt vom Norden

Sehr gut sieht man auch, dass hier ein wichtiger Verkehrsknoten war: Über die knarrende und ächzende Holzbrücke konnten Fahrzeuge direkt in die Höttinger Gasse einfahren - und mit ihrer Fracht Richtung Hötting und von da aus durch die heutige Schneeburggasse Richtung Westen nach Zirl und Scharnitz in den Südbayrischen Raum weiter fahren. Auch vom Osten kommend war dies möglich, weshalb auch die Häuserzeile der Innstraße etwas weiter nördlich liegt als die der Mariahilfstraße. 

Die große Anzahl an Gasthäusern in der Innzeile und auch der Höttinger Gasse  (da sollen es allein stattliche sieben gewesen sein) beweist, dass hier viele Durchreisende eine Pause einzulegen pflegten, um sich vor dem beschwerlichsten Teil der Strecke nach Norden auszuruhen. Städl, die Stallungen und Brunnen waren  nötig, um die Zugtiere der Fahrzeuge zu tränken und zu beherbergen, während die Menschen sich in den Gasthäusern stärkten und dort logierten. Auch die Schmiede, die in dieser Gegend mit ihren Betrieben anslässig waren, hatten wohl so maches Pferd neu zu beschlagen...

Die Kurve im untersten Teil der Höttinger Gasse ergab sich wohl aus einer natürlich Geländeerhöhung, auf die heute noch die Terrassen vor den Häusern Höttinger Gasse 4 und 6 befinden. (alte Katasternummern 416 und 417) . Abfließendes Starkregenwasser hat hier wohl zu einer natürlichen Ausschwemmung und Geländeformung geführt, während der ständig fließende Höttinger Bach hat das Kirschental gebildet hatte.

Verkehrstechnische führte also noch bis ins 16. Jahrhundert die alte Landstraße von der Innbrücke  durch die Höttinger Gasse steil zum Dorf hinauf. Von dort ging der Transitverkehr vom Süden nach Westen durch die lange Schneeburggasse oberhalb der heutigen Stadtteile Allerheiligen und Peerhofsiedlung weiter Richtung Kranebitten, das auch noch im Höttinger Gemeindegebiet lag.

Die Höttinger Gasse war wohl auch schon ein Teil des Römerstraßen-Netzes wo die sogenannte "Untere Straße (Brenner – Innsbruck – Zirl – Garmisch – Schongau – Augsburg bzw. von Innsbruck innabwärts bis Rosenheim) wahrscheinlich durch die "Höttinger Gasse" führte.

Die Tiroler Salzstraße nach Westen wiederum führte von Hall über Zirl, Telfs und das Mieminger Plateau nach Nassereith und über den Fernpass weiter ins Allgäu. Erst unter Ferdinand II im 16. Jh. wurde die bequemere Straße im Tal durch die Höttinger Au nach Kranebitten errichtet und somit  die Höttinger Gasse entlastet.

Daneben verband die Höttinger Gasse im 19. Jh  das inzwischen stark anwachsende Wohndorf Hötting mit der Stadt Innsbruck, und wurde so zum  Nahversorgungszentrum mit vielen Geschäften, die auch 2020 noch viele Menschen kannten. Mein erster Aufruf brachte interessante Erinnerungen zutage: Es gab mehrere Bäckereien hier (Paulhuber, vormals Mösserer) und Metzger (Schwaiger, vormals Fischler), eine Friseurin (Berta Kelderer), wo später die Fußpflege von Rosmarie Ruepp war, zwei Wollgeschäfte (eines hieß Ploner( Nr. 30) und eines im Anbau von Nr. 22. Einen Elektriker, auf 26, Wimmer, der dann das Haus 22 kaufte. Eine Konditorei im Haus 41, dem Gasthaus Langer (vormaligen Gasthof Südtiroler), wo auch ein Lebensmittelgeschäft und später eine Motorradwerkstätte war. Der Dachdecker Haslwanter und der Schlosser Stolz im Haus 37. In Nr. 32 war ein Lebensmittelgeschäft (Mölk) wo heute eine Reihe von Projekten und Betrieben untergebracht sind. Zeitweise war es auch eine Raiffeisen-Sparkasse. Ein Schuhgeschäft, wo vormals ein Schmied war und jetzt das Due Sicilie ist, und eines im Haus 18, mit benachbartem Schuster. Aus dem SM-Treff auf Nr. 7 wurde das John Montagu, darüber befindet sich das Hostel Montagu. Das indische Restaurant von Nr. 6 wurde für 30 Jahre ein chinesisches und ist jetzt das Restaurant Gaia. In einer winzigen Sackgasse nördlich der Nr. 27 soll ein Maler gewesen sein. Hier war früher an der Ortsgrenze ein Durchgang in die Kirschentalgasse. Heute versteckt sich dort die Haus Nr. 29.

Diese Erinnerungen, die angesichts des ersten heranziehenden Baggers des Jahres 2020 hervorkamen, zeigten, dass noch vieles lebendig ist, von dem was man heute nicht mehr sehen kann. Wie hat man hier in dieser Gasse früher gelebt und gewirtschaftet. Und wie lebt man heute und in Zukunft. Was längere Zeit leer steht, wechselte den Eigentümer, wird verändert  und neuen Nutzungen und Nutzern zugänglich gemacht.
So wird die Gasse mit neuem Leben erfüllt, wie schon all die Jahrhunderte zuvor - ein Ende ist nicht abzusehen. Es ist die Transformation einem Landstrich (Bruckfeld) vom Bauerndorf mit Wiesen, Feldern und Obstgärten an einer früheren Transitstrecke, über die Zeit einer Geschäftsstraße hin zur innerstäditschen Wohnstraße.

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